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Hofburg-Wahl: "Österreich ist ein sehr ungewöhnlicher Fall"

Die Präsidentschaftskanzlei in Wien
Die Präsidentschaftskanzlei in Wien(c) Imago/Skata
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Österreichs Bundespräsident hat mehr verfassungsrechtliche Kompetenzen als der französische Präsident. Und doch ist er eine "reine Repräsentationsfigur".

Archivtext aus dem Jahr 2016:

Kaum ein Politikwissenschaftler kannte sich so gut mit der Macht von Staatspräsidenten aus wie der 2019 verstorbene Robert Elgie. Der Universitätsprofessor aus Dublin forschte ein Vierteljahrhundert über semi-präsidentielle Regierungssysteme, in denen sich Parlament, Regierung und Parlament die Macht teilen. Der APA hat er 2016 ein Interview gegeben. Darin nannte er Österreich "einen sehr ungewöhnlichen Fall". Denn: "Der österreichische Präsident hat vermutlich mehr verfassungsrechtliche Kompetenzen als der französische Präsident", betonte der irische Politologe. Doch während der Hausherr im Elysee-Palast so manchem Experten mächtiger scheint als der US-Präsident, handelt es sich bei dem österreichischen Bundespräsidenten um eine "reine Repräsentationsfigur", sagte Elgie damals im APA-Interview.

Das einzige Land, in dem Befugnisse und tatsächliche Macht des Präsidenten ähnlich weit auseinanderklaffen, sei Island. Das skandinavische Land ist für den Professor an der Dublin City University (DCU) auch ein Beispiel dafür, wie dramatisch sich die politische Rolle des Präsidenten mit dem politischen Kontext ändern könne. Viele Isländer hätten schon vergessen, wie groß die theoretische Macht des Präsidenten war, als dieser während der Finanzkrise zwei Gesetze mit seinem Veto gestoppt habe.

„Kontext könnte sich auch in Österreich ändern“ 

"Plötzlich waren die Befugnisse, die schon verloren geglaubt worden waren, wieder da. In Wirklichkeit hat sich nur der politische Kontext verändert, und der Präsident war in einer Position, sie zu nutzen. Dieser Kontext könnte sich auch in Österreich ändern", so Elgie vor sechs Jahren. Zugleich gibt er zu bedenken, dass der Bundespräsident anders als viele seiner europäischen Amtskollegen "keine lange Liste von eindeutig definierten exekutiven Zuständigkeiten" habe. Sollte ein Präsident seine Kompetenzen exzessiv nutzen wollen, könnten Streitigkeiten wie in Polen oder Rumänien die Folge sein.

Für einen starken Präsidenten brauche es eine Kombination aus Volkswahl, wichtigen verfassungsrechtlichen Befugnissen und einem "politischen Kontext, in dem der Einsatz dieser Befugnisse als legitim und wünschenswert angesehen wird", betonte Elgie. Frankreich sei das Paradebeispiel dafür. Dort gründet sich der Einfluss des Präsidenten darauf, dass er Parteiführer und Chef der Präsidentenmehrheit im Parlament ist. Mit der Parlamentsmehrheit im Rücken, kann der französische Präsident nicht nur einen loyalen Premierminister ernennen, sondern auch jederzeit austauschen, obwohl er - anders als der Bundespräsident - die Regierung gar nicht entlassen kann.

Dabei schätzte Elgie das Recht zur Entlassung des Regierungschefs als besonders wichtig ein. Wenn der Präsident etwa einen unpopulären Regierungschef entlasse, könne er die politische Initiative an sich reißen. Dagegen sei der Spielraum des Staatsoberhauptes bei der Regierungsbildung nach Wahlen oft gering. Oft gibt es eine siegreiche Partei oder Koalition, die schon mit einem eigenen Kanzlerkandidaten angetreten sei. "Die Präsidenten haben oft keine Wahl. Nur wenn das Parteiensystem sehr zersplittert ist, die Regierung zerfällt und es keinen alternativen Regierungschef gibt, kann der Präsident seinen persönlichen Einfluss geltend machen."

Direktwahl nötig, aber nicht hinreichend

"Die Direktwahl ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für einen starken Präsidenten", sagte Elgie. Das österreichische Beispiel zeige, dass auch direkt gewählte Präsidenten sehr schwach sein können. Slowenien und Irland seien ähnliche Fälle. Dagegen hätten italienische Präsidenten immer wieder eine wichtige Rolle gespielt, obwohl sie nur eine parlamentarische Legitimation hatten.

Insgesamt beurteilte Elgie die Institution des Staatspräsidenten positiv. Präsidenten können eine wichtige Rolle im gewaltenteilenden System der "Checks and Balances" spielen, aber auch eine Stimme für jene Teile der Wählerschaft sein, die sich durch die anderen politischen Institutionen nicht repräsentiert sehen. Vor allem sei das Präsidentenamt aber alternativlos. "Wenn man den Präsidenten abschafft, müsste man wohl zur Monarchie zurückkehren, und das wird man kaum wollen", so der irische Universitätsprofessor.

(APA/Stefan Vospernik)

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