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THE COCKPIT
OF EUROPE

R E Z E N S I O N zu
Cook, Bernard: Belgium.
A History. (Studies in Modern European History ; 50)
New York [u.a.] : Lang, 2002. - XVIII, 205 Seiten - 23�נ16�cm. - Hardback
ISBN 0-8204-5824-4
63�Euro

17.02.2003


Haast en spoed is zelden goed (Hast und Eile ist selten gut)
Belgische Weisheit, zitiert nach dem hier besprochenen Werk

Im Verlag Peter Lang ist letztes Jahr ein hochkonzentrierter Abriss der belgischen Geschichte von den Anf�ngen bis zur Gegenwart erschienen: Auf etwa 150 Seiten (plus Literaturangaben von 35 Seiten) tummeln sich mehr als 2000 Jahre „belgische” Geschichte-� obwohl es Belgien als Staat erst seit 1830 gibt. Ein solches Buch ist, vorsichtig ausgedr�ckt, ziemlich gewagt. Kann aber interessant sein. Immerhin wei� ein Nicht-Belgier �ber Belgien gemeinhin nicht allzu viel; die ersten Assoziationen sind meist 'Pommes' und 'Europ�ische Institutionen'. Ein Belgien-Schnellkurs d�rfte folglich nicht schaden. Und einen solchen bekommt man in diesem Buch: Politik und Wirtschaft und, sehr selten, auch ein Schuss Kulturleben (mitsamt Druckfehler: „Albrecht Dr�rer” statt „D�rer”). Autor des Buches ist der amerikanische Historiker Prof. Bernard A. Cook, dessen Arbeitsschwerpunkt Modern European History ist und der 2001 Europe since 1945 - an Encyclopedia herausgegeben hat. Doch, um es gleich zu verraten: Die Tatsache, dass Cook Experte f�r Neuere Geschichte ist, schl�gt sich in diesem Buch nieder; leider nicht immer zum Vorteil.�

Ausnahmsweise das Fazit der Rezension am Anfang: Es w�re besser gewesen, wenn Cook sein Buch Belgium - a history erst am 1. Oktober 1795 h�tte beginnen lassen, als das revolution�re Frankreich das sp�tere Belgien annektierte „and thus unintentionally laid the basis for the future union of those three prevouisly disconnected territories” (die �sterreichischen Niederlande, das Erzbistum L�ttich und die Herrschaft Bouillon)-wenn Cook einsieht, dass die drei Landesteile (von denen einer auch noch aus Flandern und Wallonien besteht) vor diesem Ereignis „disconnected” waren, darf man hoffentlich vorsichtig anfragen, warum Cook auch die Geschichte vor diesem Ereignis erz�hlt. Belgien ist nun einmal ein heterogenes Kunstgebilde (und insofern scheint es sehr symboltr�chtig, dass Br�ssel „Europa-Hauptstadt” wurde). Es bed�rfte eines hervorragenden Erz�hlers und nicht minder guten Historikers, um die Bestandteile dieses Kunstgebildes in einer Schilderung zusammen zu halten. Und daran hapert es bedauerlicherweise in jenem Teil, der sich der Geschichte Belgiens vor der „Belgien-Werdung” Belgiens widmet. Die Ausf�hrungen in diesem Teil, der immerhin fast ein Drittel des Buchs ausmacht, bleiben unangenehm blass und Cook hetzt den Leser faktenhuberisch durch Belgiens Historie. Die Darstellung ist trocken wie eine Mumie und nur wenige Anekdoten gl�nzen in dem bleiernen Meer heruntergeratterter Details-beispielsweise die Geschichte, dass der Name Antwerpen von der abgehackten Hand eines Giganten herr�hre, die in den Fluss Scheldt geworfen worden sei („Hand werp”), sowie der Hinweis, dass der Graf d’Artagnan (Vorbild f�r Alexandre Dumas’ gleichnamige Romanfigur) in Gefechten bei Maastricht starb, und die Erz�hlung, wie der durch Briten entf�hrte Manikin Pis in einer franz�sischen Uniform und mit franz�sischem Dreispitz nach Br�ssel zur�ckkehrte. Ansonsten bleibt beim Leser vor allem h�ngen, dass Belgien schon zu dem Zeitpunkt, als es noch gar nicht existierte, eine Pufferzone zwischen diversen Staaten, Aufmarschgebiet und Schlachtfeld im Niederl�ndischen Unabh�ngigkeitskampf, im Drei�igj�hrigen Krieg, in diversen kriegerischen Aggressionen Frankreichs und Deutschlands darstellte. Nun mag man der Ansicht sein, dass ein Geschichtsbuch nicht gut geschrieben sein muss (der Rezensent ist dieser Ansicht �brigens nicht). Problematisch wird es allerdings, wenn Fakten anzuzweifeln sind und ein schiefes Geschichtsbild entsteht. Beispiel gef�llig? Nun, �ber Ereignisse am Ende des 13. Jahrhunderts hei�t es ladipar „The prosperity of Flanders ... led to the involvement of France and England in the affairs of Flanders”. Da muss der Rezensent dann doch ein wenig widersprechen: Frankreich und England mischten sich in dieser Region ein, weil sie zu jener Zeit auch in jeder anderen europ�ischen Region gegeneinander opponierten. Etwas ausf�hrlicher (wenn jemand, der kein Geschichts-Professor ist, dergleichen wagen darf): Im Jahre 1294 sollte die Schwester des englischen K�nigs Edward den franz�sischen K�nig Philippe IV heiraten; die (englische) Gascogne sollte Philippe IV �bergeben und Edward dann zur�ckerstattet werden, um die Lehnshoheit Frankreichs �ber die Gascogne zu verdeutlichen. Als das nicht klappte und es zum Krieg kam, wurde munter herumkoaliert: Um Aragonien und Kastilien konkurrierten Englands Edward und Frankreichs Philippe dabei ebenso lechzend wie um viele andere Staaten. „The prosperity of Flanders” war bei den damaligen B�ndnissen vermutlich weniger wichtig als es das irakische �l in heutigen Konflikten ist. Und auch Cooks Satz „Guy of Dampierre, the Count of Flanders, imprisoned Floris I of Holland, who was subsequently murdered” scheint dem Rezensenten nicht ganz zu stimmen-der n�mlich meint (entsprechend Michael Prestwich, Edward I, 1988, S.388): Florent/Floris wurde in eventuell englischem Auftrag von John von Cuyck entf�hrt und ermordet, weil er es am 6. Januar 1296 gewagt hatte, das B�ndnis mit England zugunsten eines B�ndnisses mit Frankreich zu verlassen. Guy von Flandern, der 1295-97 mit Frankreich alliiert war, h�tte entgegen Cooks Behauptung wohl kaum seinen frisch gebackenen Mit-Alliierten ermorden lassen. Wie eingangs gesagt: Man merkt, dass Cook Experte f�r Neuere Geschichte ist. Aber selbst in der Neueren Geschichte scheint es ein wenig zu hapern. Cook behauptet: „In fact continental Europe’s first rail line was opened between Brussels and Mechelen (Malines) in the 1830s.” Das stimmt zumindest damit nicht �berein, dass die erste Eisenbahn Kontinentaleuropas zwischen St.Etienne und Andr�zieux Kohle transportierte (ab 16.10.1828) und das franz�sische Eisenbahnnetz 1829 17 Kilometer sowie 1830 31 Kilometer umfasste (vgl. auch die Tabelle in 'Propyl�en Geschichte Europas', Bd.4, S.442).�

Doch nun genug herumgekrittelt. Denn im 19. Jahrhundert wird Cooks Geschichts-Beschreibung etwas farbiger und breiter; man merkt, dass er sich auf diesem Terrain sicherer f�hlt. Erstaunlich sind Tatsachen wie jene, dass die Belgier die �sterreichischen Habsburger 1789 in einer eigenst�ndigen Revolution aus dem Land warfen, so die 'Vereinigten Staaten von Belgien' nach US-Vorbild gegr�ndet wurden, jedoch aufgrund innerer Streitigkeiten nach wenigen Monaten wieder von der Landkarte verschwanden. Skurril sind Aspekte wie derjenige, dass das Zusammentreffen von Revolution (aus Frankreich) und Industrialisierung (aus Gro�britannien) daf�r sorgten, dass im Erzbistum L�ttich Kl�ster zu Glas-Fabriken wurden. Und beinahe r�hrend: ein kurzer Abschnitt namens „Christmas 1914 on the Belgian Front”, wo in zwei Dutzend Zeilen die ganze Absurdit�t des Krieges aufblitzt.�

Also, das Fazit: Es h�tte dem Buch gut getan, die ersten sechs Kapitel wegzulassen und die folgenden zehn Kapitel daf�r ausf�hrlicher zu gestalten. „Haast en spoed is zelden goed”, der Umfang von insgesamt 150 Seiten dagegen durchaus angenehm: Wer mehr lesen will, ist mit den �ppigen Literaturangaben hervorragend bedient. Das Register dagegen ist ziemlich merkw�rdig. Man fragt sich beispielsweise, wieso „William of Gulik, 12-13” und „William the Conqueror, 7” dort mitsamt Seitenangaben auftauchen, der niederl�ndische K�nig Wilhelm (bzw. im Text „William”) jedoch nicht, obwohl der f�r Belgiens Geschichte weitaus wichtiger ist und �ber sehr viel mehr Seiten im Text herumfleucht als „William of Gulik” oder „William the Conqueror”-und das ist nur einer von mehreren F�llen, in denen das Register dem Suchenden keine gro�e Freude macht.�

Verflixt, jetzt ist der Rezensent schon wieder am Herumkritteln. Doch zum Schluss noch eine vers�hnliche Bemerkung: Er hat trotz allem bei diesem Buch einiges �ber Belgien gelernt. Und er freut sich, dass die Bezeichnung Belgiens als „the cockpit of Europe” (James Howell, 1640), die damals noch auf eine kriegerische Hahnenkampf-Arena hindeutete, heute als „Pilotenraum des EU-Flugzeugs” �bersetzt werden k�nnte-ein zivilisatorischer Fortschritt f�r Belgien und das, was Donald Rumsfeld „das alte Europa” nennt.�

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