Die Schweiz als "Willensnation"? Die Kernelemente des Schweizer Selbstverständnisses


Term Paper, 2012

14 Pages, Grade: 1,3


Excerpt

Inhalt

1. Einleitung

2. Nationale Identität – Bedeutung und begriffshistorischer Hintergrund

3. Die Schweizer Nationalidentität

4. Identitätsmerkmale
4.1 Mythen und Sagen
4.2 Mehrsprachigkeit als Zeichen der eigenen Identität
4.3 Neutralität als Element des schweizerischen Selbstverständnisses
4.4. Direkte Demokratie als identitätsstiftender Faktor
4.5 Symbole und Festakte als Ausdruck der eigenen Identität

5. Die Schweiz - ein Modell der Zukunft?

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis:

1. Einleitung

Im Zuge der voranschreitenden Individualisierung definieren sich Menschen zu einem deutlichen Teil über die selbsterwählte Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. «Wir-Gefühle» bilden sich in einer Gemeinde, einem Verein, einer Verbindung und nicht zuletzt auch in Nationsgemeinschaften. Nationale Zugehörigkeit offenbart sich oftmals durch eine überhöhte Idealisierung kennzeichnender Merkmale, die mit dem eigenen Staat abgrenzend von anderen Nationen in Verbindung gebracht werden. Die Basis einer gemeinsamen Sprache, Geschichte, ethnischen Abstammung und einem gemeinsamen Territorium – all diese Aspekte bilden dabei den Kern einer «Nationalistischen Vorstellung». Somit ist es kaum verwunderlich, dass die Förderung eines Zusammengehörigkeitsgefühls im zeitlichen Kontext der Nationalstaatsbildungen während des 18., 19. und 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle einnahm.

Auch beim Aufbau des Schweizer Bundesstaats war die Förderung einer gemeinschaftlichen Nationalidee von großer Bedeutung (Borggräfe 2007:7-16). Die Schaffung einer Nationalidentität erweist sich im Falle der Schweiz jedoch als besonders eigentümlich, da weder die Sprache, noch weitere traditionelle Identifikationsfaktoren die Vorstellung einer kulturell homogenen Nation unterstreichen. Stattdessen gehört eben diese Heterogenität, die ihren Ausdruck in der Mehrsprachigkeit, der Multikulturalität und dem föderalistischen System findet, zu einem essentiellen Element der «nationalen Kultur» des Landes (Langenfeld 2001:277-281).

Doch welche Besonderheiten stellen sich in der Schweiz in Bezug auf die nationale Identität ein?Welche Bestandteile gelten dabei als kennzeichnend für die innere Kultur des Landes? Wo liegen die historischen Wurzeln dieser Elemente und in welcher Form wurden diese zum Zwecke des Nationalbewusstseins konstruiert?

Im Hinblick auf diese Leitfragen wird diese Arbeit zunächst die inhaltliche Bedeutung des Begriffes der «Nationalen Identität» genauer erläutern. Dabei wird es vor allem darum gehen, die rezeptionsgeschichtliche Auslegung der Synonyme Nationalismus und Nationalidentität wiederzugeben. Im Hauptteil dieser Untersuchung werden die bedeutenden Merkmale der Schweizer Nationalidentität untersucht. Hier wird auf den historischen Ursprung dieser Elemente eingegangen, um darauf aufbauend Rückschlüsse über die gegenwärtige Situation der schweizerischen Nationalitätskonstruktion zu ziehen. In einem abschließenden Fazit werden die Ergebnisse zusammengefasst und bewertet.

2. Nationale Identität – Bedeutung und begriffshistorischer Hintergrund

Bei der Suche nach einem allgemeingültigen definitorischen Erklärungsansatz zum Konzept der Nationalidentität wird deutlich, dass die Forschung bislang keinen übereinstimmenden Konsens avancieren konnte. Da eine Vielzahl an unterschiedlichen normativen Vorstellungen und theoretischen Konzepten existieren, herrschen nach wie vor große Unstimmigkeiten unter den Vertretern der gegenwärtigen Nationalforschung.

Maßgeblich geprägt wurde der Begriff durch den französischen Historiker Ernest Renan, der sich bereits im Jahre 1882 mit dem Wesen und den Antriebskräften der Nationalbildung auseinandersetzte. In einem Vortrag an der Pariser Universität Sorbonne definiert Renan eine Nation als eine große Solidargemeinschaft, deren Grundstein eine gemeinsame Erinnerungskultur bilde, sowie der Wille und die Übereinkunft ein gemeinschaftliches Leben fortzusetzen (Benz 2001: 25-26). Darauf aufbauend entwickelte Benedict Anderson „Die konstruktivistische Nationalismustheorie“, in der er sich besonders gegen die eurozentrischen Vorstellungen seines Vorgängers richtete, indem er den Nationalismus nicht ausschließlich als Charakteristikum westlich geprägter Kulturnationen ansah. Die grundlegenden Thesen seiner Arbeit liefern Antworten darüber, welche wesentlichen Basisanforderungen zwingend sind, um die Vorstellung einer Nation zu lancieren. Grundsätzlich sieht Anderson den Kapitalismus, die Reformation, und die Durchsetzung der Landessprachen als Fundament einer kollektiven Identitätsbildungstransformation. Nach Ansicht Andersons stellen die Berufung und der Glaube einer gemeinsamen historischen Herkunft, ein zentrales Element im Hinblick auf das gemeinschaftliche Nationalgefühl dar. In dieser Hinsicht knüpft Anderson in gewisser Weise an die Vorüberlegungen Renans an, der bereits ein Jahrhundert zuvor erkannte, dass eine Nation im Grunde genommen auf dem Akt des Erinnerns und Vergessens basiert. Anderson führte diesen Aspekt dahingehend aus, indem er behauptete, die Rückbesinnung auf die Geschichte unterläge keiner natürlichen Genese, sondern werde künstlich zum Zwecke des Zusammengehörigkeitsgefühls instrumentalisiert. Die Bildung einer Nation gleiche demnach einem Aushandlungsprozess, im Zuge dessen die beteiligten Diskursteilnehmer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln eine Nationalidee konstruieren (Jansen 2007: 92-98).

Jüngere Forschungsansätze haben zwar die wesentlichen Aspekte der voran genannten Erklärungskonzeptionen adaptiert, gehen jedoch von einem weitaus komplexeren Schema eines kollektiven Bewusstseins aus. Nationale Identität gründet sich demnach durch die Teilnahme eines Einzelnen an einer Kommunikationsgemeinschaft, in der sich das Individuum über das Zugehörigkeitsgefühl als Teil einer Gemeinschaft definiert. Nationale Identität wird dabei in ähnlicher Weise, wie bereits innerhalb Andersons konstruktivistische Nationalismustheorie dargelegt, als künstliches Gebilde aufgefasst, bei dem durch Subsummierung und Standardisierung ethnischer, sowie schichtenspezifischer Diversität, ein kollektiv-institutionalisiertes Werte- und Normensystem ausgehandelt wird. Das Ziel der Konstruktion bestehe vor allem darin, auf Basis historischen, territorialen, sprachlichen und ethnischen Faktoren ein identitätsstiftendes Symbolsystem zu erschaffen, um wechselwirkend eine gesamtgesellschaftliche Integration und Loyalität herbeizuführen (Jansen 2007: 10-19).

3. Die Schweizer Nationalidentität

Bevor anschließend explizit auf die Wurzeln der identitätsstiftenden Merkmale eingegangen wird, sollten vorab Aussagen allgemeiner Art zur Schweizer Nationalidentität getroffen werden. Die Schweiz, darüber ist sich die Forschung weitgehend einig, ist keineswegs ein auf natürlicher Genese erwachsener Nationalstaat. Die Nationsbildung ist vielmehr das Resultat eines unbeugsamen Einheitswillens, dessen Zweckmäßigkeit sich in der Vorstellung begründet sah, eine Einheit aus vielen Minderheiten zu gründen (Marchal 1992: 38-39). In Relation zum idealtypischen Leitbild wird deutlich, dass die Eidgenossenschaft kein homogenes Gebilde darstellt, wie es möglicherweise in der theoretischen Konzeption einer Staats- oder Kulturnation zu vermuten wäre. Die gemeinsame Zugehörigkeit basiert im Falle der Schweiz weder auf sprachlichen, noch auf einer kulturellen Gleichsetzung, sondern definiert sich bewusst als Zusammenschluss koexistierender Identitätsgemeinschaften. Nationale Verbundenheit begründet sich daher in verschiedenen Identifikationsebenen mit seiner Gemeinde, dem Kanton, der Nation oder Zugehörigkeit einer Sprachgruppe. Diese Eigenart der Mehrdimensionalität wird mittels des dezentralen Staataufbaus zusätzlich verfestigt und mündet sowohl in einem regionalen als auch nationalen Identitätsbewusstsein. Insbesondere diese Eigenart bildet in gewisser Hinsicht den Hauptpfeiler des schweizerischen Nationalbewusstseins (Koller 2000: 596-600).

Bei dem Blick auf die Geschichte der Schweiz wird deutlich, dass die Alten Eidgenossen schon immer sehr ausgeprägtes Nationalbewusstsein besaßen, welches in vielfältiger Weise nach außen getragen wurde. Vor allem die Kombination realer Geschichte und teils erfundener Mythen, machen einen wichtigen Bestandteil der Schweizer Nationalidentität aus und gelten auch im heutigen Kontext als ein wichtiges Instrumentarium, um den Stolz und Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken. Somit wird deutlich, dass die Bestandteile der Schweizerischen Nationalidentität in der Geschichte begründet sind.

4. Identitätsmerkmale

Um die Grundstruktur eines Gemeinschaftssystems zu verstehen, ist es sinnvoll die historischen Wurzeln der relevanten identitätskonstruierenden Prozesse zu betrachten, um daraus ableitend Rückschlüsse auf die gegenwärtigen Ausprägungsformen des kollektiven Gemeinwesens zu ziehen. Folglich werden daher bedeutende Elemente der Schweizer Nationalidentität ausgewählt und unter Berücksichtigung seiner geschichtlichen Ausbildung und Wirkungsweise dargelegt.

4.1 Mythen und Sagen

Die Aussagekraft von Mythen und Sagen kann unmissverständlich als wirksames Instrumentarium eingesetzt werden, sobald es darum geht Einigkeit und Zusammenhalt innerhalb einer Nation zu schüren. Daher scheint es kaum verwunderlich, dass mythische Darstellungen teilweise als faktische historische Gegebenheiten verinnerlicht wurden und tief im schweizerischen Nationalverständnis verwurzelt sind (Opitz 1995: 106-112). Inwieweit diese Erzählungen tatsächlich der Wahrheit entsprechen oder gar aus der Phantasie her entwickelt wurden, soll im Folgenden jedoch nicht hinterfragt werden. Stattdessen soll zunächst der historische Ursprung und dessen rezeptionsgeschichtliche Wirkung in Augenschein genommen werden, um darauf aufbauend zu klären, welchen Stellenwert diese Erzählungen im Kontext der schweizerischen Nationalidentität einnehmen.

Zuallererst ist der Schwur der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden, der sogenannte Rütlischwur zu nennen. Der Schwur ist der Mythos über die Geburt der eidgenossenschaftlichen Vereinigung, welche der Legende nach durch die Bundesschließung auf dem Rütli am Vierwaldstättersee entstand. Der Pakt glich einer Art Schutzbündnis, um sich fortwährend gegen die Diffamierung und Ausbeutung der

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